Deutsche Feuilletons versagen komplett, wenn es um das Kulturphänomen Cyber geht. Da trauen sich die Herren Journalisten nicht ran. Und das, obwohl diese Szene, kulturell gesehen, der größte anzunehmende Mindfuck seit langem ist. Das Wort Cyber klingt nach trashigen Science-Fiction-Serien aus den 90ern, in denen Cops mit Laserwummen Kriminelle im begehbaren Hyperspace jagen…ach ja, TekWar hieß die. Cyber als Jugendbewegung, greift dieses Thema in einem modischen Kontext auf und kombiniert es mit Technomusik. Das Resultat ist so etwas wie die ultimative Zukunftsvision: Tanzende Drogendealer, die aus einer Zeit kommen, in der Geschlechter, Grünflächen sowie Pastellfarben endgültig abgeschafft wurden. Viele nennen die Akteure dieser Szene vorschnell Rave-Goths, was sich die Rave-Goths aber strengstens verbieten. Doch Namen hin oder her; wieviel kulturelle Sprengkraft hat diese Bewegung wirklich? Und hat Sunnyboy Panteros666 sie mit seinem neuen Video nicht vielleicht schon auf die Schlachtbank der Kommerzialisierung geschnürt -und damit den Untergang eingeleitet? Aus der Sicht der Hersteller von synthetischen Dreadlocks und Gasmasken, darf die Antwort nur nein lauten.

Leuten, die in Clubs auffällig gut tanzen, wird gerne mal unterstellt, sie wären süchtig nach Aufmerksamkeit oder notgeil oder drauf. Wenn besonders Mutige dann doch einmal überlegene Moves bringen, tun sie dann meist schnell so, als sei das ironisch gemeint. Kein Mensch kommt heute mit einem Moonwalk ungeschoren davon. Das ist seltsam und schade. Wie genau haben wir es eigentlich geschafft die Tanzkultur des Nachtlebens zu zerstören? Warum ist Tanzen im westlichen Kulturkreis so verpönt? Eine Ursache entstand in den 90ern, als sich eine Musik in den Diskotheken durchsetzte, die allgemein als Black bzw. Black Music bekannt ist. Black steht für clubtauglichen RnB und HipHop mit kommerziellem Massenappeal -meist sexuell stark aufgeladen und mit prahlerischer Attitüde. Die damalige Jugend stand noch sehr unter dem kulturellen Einfluss von MTV und befeuert durch entsprechende Musikvideos und ihre eigenen pubertären Übersprungshandlungen, enstanden bizarre Tanzrituale, für die sich bis heute geschämt wird. Dabei zeigt Brenmars neues Video, dass es eine Zeit gab, in der jeder auf dem Dancefloor abstylen durfte, ganz nach eigenem Gusto und ohne dass gleich ans Bumsen gedacht wurde. Und das unterlegt mit clubtauglichem RnB, ach, die Ironie.

Das beste Berliner Plattenlabel ist Crippled Dick Hot Wax, allerdings nur solange es seinen Namen behält. Hartnäckiger Anwärter ist Exploited Records, dessen Name zwar nicht schlecht ist, sein Standing aber hauptsächlich seinen Künstlern verdankt. Wie z.B. Joyce Muniz; eigentlich brasilianische Bikini-Schönheit, doch durch göttliche Fügung auch noch House-Produzentin par excellence, was dem Ganzen ja wohl den Zuckerhut aufsetzt. Wo man solche Frauen kennenlernt, ist ein zu Recht gut gehütetes Geheimnis der Plattenlabelbesitzer. Kein Geheimnis ist der Regisseur dieses Clips: Daniel Dexter, seines Zeichens ebenfalls House-Produzent und erst im vorherigen Post vorgestellt worden. Wie klein die Welt doch ist, wenn es um Talent geht. Das Video vermittelt die heitere Stimmung eines Softpornodrehs mit Freunden und wir bekommen Kassetten zu sehen, die ja stärker vom Aussterben bedroht sind, als Pandabären. Musik und Clip zusammen sind auf jeden Fall eine gute Portion Telegymnastik für Fortgeschrittene. Bewegend.

Als in Deutschland die privaten Fernsehsender ans Netz gingen und der Glotze den Weg zum dominierenden Massenmedium ebneten, war Medienpädagogik ein viel- und breitdiskutiertes Thema. Heute wird behauptet “Galileo” sei “Die Sendung mit der Maus” für Erwachsene. Verfolgt man diesen Gedanken, bedeutet das, dass wir uns mit zunehmendem Alter weniger für elementare Zusammenhänge von Natur, Technik und Gesellschaft interessieren, sondern uns verstärkt XXL-Schnitzeln, Wasserrutschen und Nippel-Piercings widmen. Natürlich ist “Galileo” keineswegs “Die Sendung mit der Maus” für Erwachsene. Es ist “taff” für Menschen, die ihr Abendbrot vor dem Fernseher essen. Aber wer will sich über heutige Fernsehkultur aufregen? Das inspirierende Schicksal eines HartzIV-Empfängers oder die aufwühlenden Einblicke in das Leben einer Frau mit dicken Titten, stellen langatmige Lehrfilme über Photosynthese einfach in den Schatten. Der Berliner Daniel Dexter hat das nicht verstanden. Es sind in diesem Clip überhaupt keine Brüste zu sehen, höchstens auf zellularer Ebene, aber das nimmt die Erotik einfach raus. Erfahrene Pro7-Zuschauer dürfte das sehr enttäuschen, alle anderen freuen sich über pädagogisch einwandfreien Deephouse und ein tolles Video.

Umso realitätsgetreuer Menschen computeranimiert werden, umso befremdlicher wirken sie auf uns. Es ist ein psychologischer Effekt, der uns bei zu großer Ähnlichkeit, nicht mehr die Gemeinsamkeiten, sondern die Unterschiede sehen lässt. Für Hollywood ist das ein Problem, da man dort aus Kostengründen langfristig auf reale Schauspieler verzichten wollte. Auf authentische Kulissen, Special-Effects und Handlungen ist die Traumfabrik ja schon längst nicht mehr angewiesen. Gerade die Pornoindustrie dürfte aber beim Thema virtuelle Darsteller am Ball bleiben. Zu gigantisch wäre der Markt der sich auftuen würde, könnten diverse Stars digital zu ein paar Schäferstündchen verdonnert werden, oder gleich Alice Schwarzer, da poppende Emanzen bestimmt der heilige Gral unter den Fetischisten sind. Wie funktionieren eigentlich Patente? Trotz dieser großen Menschheitsaufgabe, lässt sich dennoch viel mit ein bisschen Computergrafik zaubern. Malentes Partner-In-Crime Zero Cash hat das Video zur neuen Technobombe mal eben selbst mit Effekten ausgestattet, was an manchen Stellen die Beschreibung episch verdient, aber episch im Sinne von “Unsere Zivilisation wird von Midi-Controllern angegriffen.” und nicht episch im Nerd-Sinne von “EPIC!!!” bzw. “Mein Hund rülpst die Nationalhymne.”.

Wenn man mit den neuen Emporkömmlingen des amerikanischen HipHops, wie OFWGKTA oder Danny Brown konfrontiert wird, stellen sich, nachdem man den Mund wieder geschlossen hat, mehrere Fragen. Was ist bei uns los? Was machen die Kinder hier mit ihrer Freizeit? Übt in diesem Land noch jemand das Rappen? Also so richtig üben? Damit man ein guter Rapper wird und nicht aus Versehen Kay One? Mit Sicherheit hat die Heimat von Goethe und Schiller noch große Wortakrobaten in Petto, aber die Dringlichkeit, die Attitüde und die Gewalt des rohen Raps haben sich hierzulande, zumindest einer breiteren Öffentlichkeit, länger nicht bemerkbar gemacht. Stattdessen findet Gewalt nur im Drumherum statt, im Image, in der Pose, nicht in Inhalt oder im Stil. Die Attitüde ist oft nur pure Berechnung und die Dringlichkeit wird stets für die nächste Single angekündigt. Azealia Banks ist dagegen wie ein Pferdetritt ins Gesicht; schnell, wuchtig und einen Eindruck hinterlassend, der einen erstmal beschäftigt. Es ist kein Hype zu behaupten, dass die 19-jährige die bekanntesten Female-MCs von MC Lyte über Lil Kim bis Missy Elliot, was Flow und Biss angeht, locker in den Schatten stellt. Vielmehr muss man sich fragen, welcher männliche Rapper momentan da mithalten kann. Das Video zu 212 macht alles richtig, da es sich auf die fesselnde Performance von Azealia konzentriert. Die einzig anderen Protagonisten sind, der hier schon gefeierte Lunice und der genauso tolle Jacques Greene. Der Clip ist also besser als jede Zauberkugel, denn die Drei sind wirklich die Zukunft.

Uh…das wird hart. Fangen wir mal so an: French/ Disco/ Filter House hat nicht nur ein offensichtliches Defininitions-, sondern auch ein Imageproblem. Obwohl es gut los ging; Armand van Helden, Cassius, Daft Punk– Helden für immer. Das Dilemma entstand, als Ibizas DJs merkten, dass die koksenden Yuppie-Koyoten mit dieser Musik leicht in Schach zu halten waren und die Musik einen ganz neuen Massenappeal hatte. Tanzbar, gefällig und schnell zu produzieren. Beat-Loop, Sample drüber, Filterfahrt und ab dafür. Die Folge war eine Flut an lieblosem Einheitsbrei, der die Szene für Jahre in Verruf bringen sollte, weil keiner mehr ernsthaft Qualität aus dem Genre erwartete. Daft Punk waren dementspechend mit ihrem dritten Album auch musikalisch nicht mehr auf dem Zug unterwegs, sondern wandten sich genauso wie Armand van Helden und Cassius rockigeren Klängen zu, was eine der Grundlagen für den späteren Electro(clash) schuf. Vor ein paar Jahren aber nahm die Jugend, nun mit guter Musiksoftware und Internet bewaffnet, die Spur des French House wieder auf. Sie verzichteten auf den stumpfen Glamour, sondern gingen zurück zu den Wurzeln des Sounds. Es entstanden obskure und zum Teil wunderschöne Songs. Einer der von Anfang an bei dieser Bewegung dabei war, heißt Louis La Roche, ein schüchterner Schotte mit viel Disco im Tank. Über die Zeit wurde er einer der Frontsoldaten, um die verlohrene Ehre des Genres zu retten. Seine Mission brachte ihm viel Respekt und Liebe ein, er wurde Vollblutmusiker. Dann kamen Duck Sauce (Armand van Helden!!) und mit ihnen Barbra Streisand. Der Song ist für sich genommen nicht schlecht, aber durch seine Poularität gab er der neuen French House-Szene zu verstehen, dass es Formeln gibt, die Musik erfolgreich machen. In diesem Fall Feelgood-Geschunkel, das von Kindergeburtstagen bis Bierzelten alles bespielen kann. Unser Freund La Roche fristet als junger Vollblutmusiker nun nicht das sorgloseste Dasein und so probierte er die Formel aus. Alles auf catchy und breitentauglich. Man will mit der ersten richtigen Single natürlich auch einschlagen. Dazu noch ein Video, das in seinem Harmlosfaktor nur noch durch schlafende Babykaninchen getoppt werden könnte. Wird der selbe Fehler wieder begangen? Wird sich French House diesmal nicht auf dämmlichen Sponsor-Beach-Parties wiederfinden, sondern auf Ki.Ka. als Einsteigerhouse für die Kleinen? Ich wusste es wird hart.

Seitdem der Mainstream herausgefunden hat, dass Mainstream nicht cool ist, ist Mainstream nun u.a. auch Punk. Punk sein bedeutete aber nie cool zu sein; Punks feiern die Unfähigkeit, das Unvermögen. Sie feiern den Makel, während der Mainstream die Makellosigkeit feiern will. Dieses Paradox scheint unauflösbar, aber wozu gibt es schliesslich Marketingabteilungen? Eben noch eine Nase gezogen und ganz schnell war aus rebellisch authentisch und aus billig lässig gemacht. Der frustrierte Selbst- und Systemhass wurde einfach ausgeblendet. Fertig war die Adaption der Kerninhalte des Punks ins Diesseits des normalisierten Konsumverhaltens. Seidem können sich alle an Sex Pistols-Shirts erfreuen und Buttons und asymetrischen Kopfrasuren und zerrissenen Designerjeans. Alles nicht schlimm und alles nicht ernst gemeint, denn man zitiert ja nur. Man ist ironisch. Und macht sich zum Vollobst. Einen Vorteil hat die Annäherung an Punk-Attitüden aber vor allem für Plattenfirmen. Da Lo-Fi und DIY jetzt ästhetisiert werden, ist Promotion billiger geworden. So billig, dass man für seinen Wunderproduzenten T.E.E.D ein zweites trashig-psychedelisches Video für die selbe Single klarmacht. Ein paar Monate später. Einfach so, nur weil die Nummer re-released wird. Es ist sogar schlechter als das Erste. Aber so ist Punk.

Der weltweite Tierschutz wird sträflich vernachlässigt. Die Menschen bauen dafür in letzter Zeit zuviel Scheiße. Hat denn noch jemand die Affen, Büffel und Tiger auf dem Zettel, wenn Atomkraftwerke hochgehen, Banken eingehen und Europas Empörte rausgehen? Die Antwort interessiert die wenigsten. Doch was passiert, wenn die Tiere anfangen würden aufzubegehren, sich zu radikalisieren und ihre Rechte gewaltsam einzufordern? Ein Tiger kann bis zu 250 kg wiegen, bei einem ehrbaren Faustkampf hätte man wenig zu lachen. Da hilft dann nur der Waffenschrank. Den wiederum haben meist nur Menschen mit Jagdschein. Dass selbst aber die Wald- und Wiesenkiller nicht vor animalischen Bedrohungen gefeit sind, mahnen Wafa und Wolfie in ihrem neuen Machwerk Tom Tom. Der Name ist natürlich schamlose Schleichwerbung für einen Hersteller von Navigationssystemen, aber wer glaubt dass Clubmusik ohne Corporate Money auskommt, gehört zu den Ewiggestrigen. Den gebrauchten Citroën vorzuführen, hätten sie sich aber sparen können, den will wirklich keiner mehr haben. Auch nicht mit TomTom.

Niemand traut heißen Privatsekretärinnen. Das Kopfkino verhindert jede Unbefangenheit. Man sieht den Arschloch-Chef vor sich, wie er lüsternd in ihr Dekolleté spannt, während sie dummdreist rumgackert, weil sie mal wieder den Terminplan versaut hat, was aber völlig egal ist, denn versaut gehörte ja zu ihrer Arbeitsbeschreibung. So ähnlich stellt man sich das vor und es gibt keinen plausiblen Grund, warum diese Vorurteile nicht auch Sängerinnen treffen sollten. Wahrlich große Sängerinnen sehen aus wie Ella Fitzgerald: das Gesicht kein Porzellan sondern Leidenschaft, der Körper kein Plastik sondern Inbrunst. Der Schweizer Cee-Roo sieht/hört das genauso und hat sich nicht nur der Stimmgewalt von Mme Fitzgerald für seinen sympathischen Remix bedient, sondern auch ihrer leibhaftigen Performance den verdienten Respekt gezollt. Hauptberuflich ist Cee-Roo Multimedia-Designer und ein sehr fähiger dazu; sein Portfolio lässt zumindest keinen anderen Schluss zu. Man könnte ihm wohl sogar die FDP anvertrauen und er würde einen coolen Laden daraus machen…naja, wir wollen mal nicht übertreiben.